
Am Mittwoch durfte ich das deutsche Istanbul kennenlernen. Mein unbekannter Vertrauter, auch besser als Martin und mein Vorgänger in Istanbul bekannt, dessen Leben ich hier übernehme, stand abends vor meiner Tür. Crashkurs – Basti übernimmt Martins Leben und was man sonst noch alles wissen muss. Durch die intensive Korrespondenz per E-Mail das letzte halbe Jahr war das Treffen sehr vertraut, als ob man einfach einen alten Freund wieder trifft.

Wir trafen uns im Demgah, in Beyoğlu, dem Viertel in dem ich wohne.
Von Martin durfte ich unter anderem lernen, dass es nicht nur eine Biersorte in Istanbul gibt die schmeckt und es sehr empfehlenswert ist auf türkisch zählen zu können. Zu all den Informationen gab es frittierte Sardellen mit Raki. Außerdem zeigte er mir den Abfahrts- und Ankunftsplatz für den Shuttle-Bus ins Büro und das verlassene deutsche Generalkonsulat.



Beim nächtlichen Spaziergang durch die Straßen Beyoğlus, erklärte mir Martin, wie die türkische Abfallentsorgung funktioniert. Es gibt nämlich weit und breit keine Mülleimer und dennoch ist alles sehr sauber. Der Trick dahinter: wer braucht schon Eimer und Tonnen, wenn man doch Straßen hat und eine Armee an Straßenfegern, die die Stadt permanent sauber halten. Das ist natürlich ein mögliches Konzept, für ein tiefschwäbisches Herz ein wenig schwer zu verkraften – aber ein faszinierendes System. Während wir durch die Straßen schlenderten, fiel mir siedend heiß ein, dass ich meinen Reisepass vergessen hatte und mich maximal durch meinen Perso ausweisen konnte. Aber ich hatte ja Martin an meiner Seite und Martin weiß wie der Hase hoppelt. In diesem Fall wusste er, wo der Adler seinen Horst hat. Zitat des Abends:„Gar kein Problem Basti, solange man den deutschen Adler irgendwo sehen kann, ist alles in bester Ordnung.“ Na, Gott – äh Allah – sei Dank, dann muss ich mir um den Schnurrbart für Notfälle nun keine Sorgen mehr machen.

Istanbul – mein sonniges Sindelfingen
Freitag war es dann soweit. 5 Uhr, der Wecker klingelte ganze drei Mal, dann hieß es raus aus dem Bett und rein in den ersten Arbeitstag. Nach einer schnellen Dusche fand ich mich nahezu allein in den stillen Straßen des schlafenden Riesen. In der Morgendämmerung erschien der weiße Sprinter Shuttle Bus am Horizont des Taksim-Platzes, mit dem ich ins Daimlerwerk Esenyurt fuhr. Geschmückt wie ein Weihnachtsbaum von innen und außen glitzerte er in der aufgehenden Sonne. Alles was klebt oder andersweitig heftet, von Chromverzierungen bis hin zu kleinen wehenden Fähnchen, war alles mit dabei. Da weiß man wie ein echter Partybus aussehen kann. So tanzte die ganze Fahrt über ein Borussia Dortmund-Fähnchen vor meinen Augen und ich fragte mich, ob unser Fahrer überhaupt was er da mit sich herumfährt oder ob er es nur aufgehängt hat weil es die Initialien seines Namens trägt. Als ich die von Chrom umrandenten „DAS“-Placketten bemerkte, die in die Kopfstützen gepinnt waren, ist mir klar geworden, dass es hier einfach nur um den Deko-Effekt gehen muss.

Die Hauptverkehrsadern sind unfallfrei und wir kamen nach 40 Minuten am Haupttor an, genau so wie alle anderen Shuttlebusse. Vor dem Werk herrschte reges Treiben, wie vor einem Bienenstock. Leises Summen, kein Hupen, kein Rufen, keine lauten Gespräche nur ein gelegentliches „Gün aydin“. Ich meldete mich am Tor und merkte das nur einer der sieben Sicherheitskräfte Englisch spricht, sie verstehen aber schnell was ich von ihnen will und stellen mir nach kurzem Telefonat mit meinem Chef einen Tagesausweiß aus. Die Erkenntnis, dass nahezu nur Akademiker in der Türkei Englisch sprechen, sollte sich auch im Kontakt mit dem Küchen-, Shop-, und Shuttlepersonal bestätigen. Das Entwicklungsgebäude von Esenyurt ist zwar nicht ganz so groß wie in Sindelfingen aber die typische Großraumbüro-Athmospäre a lá Stromberg herrscht auch hier. Spätestens als ich meinen Rechner anwarf und der Startbildschirm mit dem bekannten Cooperate Design erschien, konnte ich kaum mehr Unterschiede zu meinem deutschen Büro in Sindelfingen feststellen, außer, dass man mit manchen eben Englisch sprechen muss.

Etwas ganz besonderes ist Hassan-Abi. Er ist der Teejunge und fesche 50 Jahre jung. Bei ihm bestellen wir Tee oder türkischen Kaffee und er bringt ihn an den Schreibtisch. Kein nerviges Aufstehen mehr, um zur Senseo-Maschine zu laufen, um eine, im Vergleich zum türkischen Kaffee, fade Brühe zu zapfen. Pünktlich zur Mittagszeit zückte ich wie gewohnt meine frisch erstandene Bezahlkarte aber meine Betreuer hatte ‚good news‘, das Essen bei MB Türk ist für Mitarbeiter kostenlos. Der Erbsensuppe, dem Hammelsteak und dem türkischem Honig, folgte der gewohnte Spaziergang durch das Werk, nur das dieser nicht unter Laubbäumen, sondern unter Palmen stattfand. Das Umstellen aller Programme auf Deutsch hatte viel Zeit in Anspruch genommen und so gingen die neun Stunden Arbeitszeit wie im Fluge vorbei. Vollbepackt mit Unterlagen zum Einlesen machte ich mich auf dem Weg zum Ausgang des Bienenstocks und hielt Ausschau nach nach meinem Bus mit den wehenden Fähnchen. Gesucht, gefunden und eingestiegen in den fahrenden Christbaum. Die Rückfahrt zog sich zäh wie alter Kaugummi, durch die dem Feierabendverkehr geschuldeten Staus. Während ich damit beschäftigt war trotz stickiger Luft regelmäßig und ruhig weiterzuatmen, dabei nicht vor Hitze das T-Shirt vom Körper zu reißen, saßen meine bisher noch unbekannten Kollegen in dicken Jacken in genau demselben Bus, allerdings ganz frei von Schwitzattacken oder Atemstörungen. Hier hat man wohl ein leicht anderes Hitzeempfinden als bei uns, wir mir scheint.
INTM geht in Verlängerung und ich werde euch im nächsten Post, wie schon versprochen, aus der Model-WG berichten. Und an dieser Stelle wie versprochen:
Basti

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